Im Garten der Wichernkirche im Hamburger Stadtteil Hamm steht ein efeubewachsenes Betonhäuschen mit einer Eisentür. Tritt man hindurch und folgt einer steilen Treppe in die schummrige, modrig riechende Tiefe, findet man sich in einem Stück Zeitgeschichte wieder: einem unterirdischen Röhrenbunker aus dem Zweiten Weltkrieg, fertiggestellt im Jahr 1941, ausgelegt für 200 Personen.
Was einst gebaut wurde, um den Menschen der Hansestadt während der Luftangriffe der Alliierten Schutz zu bieten, ist heute ein Ort, an dem Geschichte spürbar wird: Seit 1997 befindet sich hier dasBunkermuseum Hamburg. Hunderte kommen jedes Jahr hierher, um zu erleben, wie sich der Aufenthalt in so einem Bauwerk anfühlt. „Das Interesse ist da und durch den Ukraine-Krieg noch einmal stärker geworden“, sagt Museumsleiter Gunnar Wulf. „Die Leute wollen einfach wissen, wie so ein Bunker aussieht. Man hört davon in den Medien, hat im Grunde aber gar keine Vorstellung.“
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Gunnar Wolf kennt den Bunker so gut wie kein anderer. Er hat bereits die Renovierungsarbeiten begleitet, führt als Experte durch das Museum und schöpft eimerweise Wasser aus dem unterirdischen Bauwerk, wenn der Bunker nach einem starken Regen vollgelaufen ist.
1987 hat er die Geschichtswerkstatt Hamm mitgegründet und in diesem Zusammenhang mit vielen Zeitzeugen gesprochen und Menschen kennengelernt, die in Kriegszeiten in Bunkern Schutz suchen mussten. „Die Leute haben ganz unterschiedliche Gefühlsregungen gezeigt“, sagt er. „Manche kamen, um Stücke für unsere Sammlung zu stiften – und wenn ich sie eingeladen habe, in den Bunker zu kommen und sich alles anzusehen, haben sie gesagt: ‚Nee, da geh ich nicht mehr rein.‘“
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Luftschutzbunker in Deutschland
Historisch betrachtet sind Luftschutzbunker ein relativ neues Phänomen, denn über Jahrtausende wurden kriegerische Handlungen vorwiegend auf Schlachtfelden ausgetragen – die Front befand sich also fernab der Siedlungen. Im Ersten Weltkrieg kam die Gefahr dann erstmals aus der Luft. Bombenangriffe brachten den Krieg in die Städte und machten keinen Unterschied zwischen Soldaten und Zivilisten.
Die neue Form der Kriegsführung etablierte sich und nahm im Zweiten Weltkrieg neue, schreckliche Dimensionen an. Zivilisten waren keine zufälligen Opfer mehr, sondern erklärtes Ziel des Bombenkriegs: Ihre Leben und Häuser wurden planvoll und absichtlich attackiert, um die Moral zu schwächen.
Nachdem Berlin im Jahr 1940 als Antwort auf die Bombardierung Londons mehrmals Luftangriffen der Alliierten ausgesetzt war, trat das Führer-Sofortprogramm in Kraft. Im Rahmen des großangelegten, zweckgebundenen Bauprogramms entstanden bis 1943 unter Hochdruck im gesamten Deutschen Reich Tausende von Luftschutzbunkern – unter anderem auch der Vierröhrenbunker im Garten der Wichernkirche.
Blick vom Eingangsbereich des Hamburger Bunkermuseums in die Gasschleuse und eine der vier Röhren. Die Bauzeit für unterirdischen Röhrenbunker betrug im Schnitt acht Monate, Hochbunker wurden in der Regel innerhalb von anderthalb Jahren fertiggestellt.
Foto von Katarina Fischer
In seiner Bauart ist der Luftschutzbunker in Hamm typisch: Jede Röhre ist zwei Meter breit und in der Mitte zwei Meter fünfzig hoch. „Wenn Sie einmal in so einem Röhrenbunker waren, kennen Sie jeden“, sagt Wulf. „Genauso gibt es typische Bunkergeschichten: Was hier passiert ist, können sie auf andere Bunker übertragen.“ Unterschiede gab es trotzdem, vor allem hinsichtlich der Länge und Anzahl der Röhren, denn in einer fertigen Stadt musste man sich den Gegebenheiten anpassen.
Die Ausstattung war jedoch immer gleich sporadisch: Ablagen auf der einen Seite der Röhre boten Stauraum für das Schutzraumgepäck, ihnen gegenüber befand sich eine lange Holzbank – die einzige Sitzgelegenheit. Für die Notdurft gab es eine Trockentoilette und in manchen Röhren stand ein Bett bereit. „Das war sozusagen die ‚Krankenstation‘ oder falls jemand nicht mehr stehen konnte“, erklärt Wulf. Nicht selten sei es vorgekommen, dass Dunkelheit und Angst bei Schwangeren, die im Bunker Schutz suchten, vorzeitige Wehen auslösten. „Im Laufe der Jahre habe ich mit einigen Menschen gesprochen, die während der Angriffe in einer rappelvollen Röhre geboren wurden“, so Wulf.
Schreckliche Szenen am Bunkereingang
Schlugen die Sirenen Alarm, wurde der Bunker geöffnet. Zutrittsberechtigt waren nur Personen mit entsprechender Platzkarte. Denn eigentlich, so Wulf, sollten alle Menschen in den Kellern ihrer Häuser Schutz suchen. Nur wer diese Möglichkeit nicht hatte, bekam einen Bunkerplatz.
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Jeder Bunker verfügte über eine Gasschleuse, die den Schutzräumen vorgelagert war. Meldeten die Sirenen Entwarnung, verließ zunächst der Bunkerwart die Röhre, schloss die Tür hinter sich und öffnete die Außentür. Nach einem Gasangriff wäre das Gas in den Bunker geströmt und hätte sich in der Gasschleuse gesammelt. „In diesem Fall hätte man ausharren und hoffen müssen, dass sich jemand draußen an den versteckten Bunker erinnert und ein Gas-Räumkommando schickt“, sagt Wulf. „Ohne Hilfe von außen wären die Menschen in so einem Fall nicht rausgekommen.“
Rechts: Unten:
Platzkarte für die Bunkernutzung. Inhabern, die dreimal hintereinander unentschuldigt ihren Platz nicht einnahmen, wurde die Berechtigung wieder entzogen.
bilder von Katarina Fischer
Die finale Entscheidung, wer in den Bunker kam, oblag dem Bunkerwart, den es in jedem Bunker gab. Dabei handelte es sich um Personen, die kriegswichtige Berufe ausübten und darum vom Wehrdienst freigestellt waren. „In diesem Bunker war es ein Automechaniker”, sagt Wulf. „Autos fuhren hier ja auch zu Kriegszeiten und darum brauchte man ihn hier vor Ort.”
Bunkerwarte lebten in dem Viertel, in dem sich ihr Bunker befand, um im Angriffsfall schnell vor Ort sein zu können. Die Menschen, die vor der Tür erschienen, waren also Nachbarn – man kannte sich. Und die Bunkerwarte waren in der Regel „keine Unmenschen”, so Wulf. Nicht selten sei es darum vorgekommen, dass im Notfall auch Menschen ohne Platzkarte Einlass gewährt wurde. „Während desFeuersturms von Hamburg haben zum Beispiel mehrere Hausgemeinschaften ihre Keller verlassen, weil sie gemerkt haben, dass immer mehr Flugzeuge kamen. Sie sind dann zum nächsten Bunker gerannt – und vielfach auch reingekommen.“
Bei Überfüllung wurde der Bunker jedoch geschlossen – egal wie viele Menschen noch vor der Tür warteten. „Manchmal haben sich da ganz schreckliche Szenen abgespielt“, sagt Wulf. „Erwachsene haben Kinder zur Seite gestoßen, um noch einen Platz zu bekommen.“
Sauerstoffmangel und Bombenhagel: Gefahr im Schutzraum
Ein Garant fürs Überleben war der Bunkerplatz nicht. Ein großes Problem stellte beispielsweise die Sauerstoffversorgung dar – vor allem weil die Bunker Wulf zufolge oft um mehr als das Doppelte belegt waren. Schloss sich die Tür zwischen Röhre und Gasschleuse im vorderen Bunkerbereich, war der Raum luftdicht abgeriegelt. Die Frischluftzufuhr fand dann nur noch über die kurbelbetriebene Lüftungsmaschine statt, die es in jeder Röhre gab.
Im Juli 1943, während des Feuersturms, transportierten diese Maschinen in Hamburger Bunkern aber nur noch giftigen Qualm in die Röhren. „Da musste man das Kurbeln natürlich sofort einstellen und hoffen, dass der Sauerstoff reicht“, sagt Wulf. „In diesem Bunker ist, soweit wir wissen, niemand gestorben. Aber ich habe mit einigen Menschen gesprochen, die erzählt haben, dass es in ihren Bunkern vereinzelt Todesfälle gab.“
Dieses Telefon aus einem Bunker in Glückstadt wurde dem Bunkermuseum gestiftet. Telefone gab es nur in militärisch genutzten Anlagen – doch bereits ein Geschütz auf dem Dach machte einen Bunker zu einer sogenannten Flakstellung und verlieh ihm Militärstatus.
Foto von Katarina Fischer
Während die Schutzsuchenden teilweise in absoluter Dunkelheit – denn in zivilen Bunkern gab es keine Notstromaggregate – dicht gedrängt in der Röhre die Einschläge an der Oberfläche spürten und hörten, konnten sie nur hoffen, dass keine Bombe auf ihr Versteck fiel. „Die unterirdischen Bunker waren in aller Regel nicht bomben- sondern nur splittersicher“, sagt Wulf. „Einem direkten Treffer hätten sie nicht standgehalten.“ So erklärt sich auch, warum die Bunker aus mehreren kleinen Röhren statt einer großen bestanden: Im Falle eines Einschlags hatten zumindest die Menschen in der Nachbarröhre die Chance, mit dem Leben davonzukommen.
Wie wurden Bunker gebaut?
Wie viel Zerstörungskraft ein solcher Bombeneinschlag hat, wird deutlich, wenn man sich bewusst macht, wie robust ein Röhrenbunker gebaut ist. Der Beton, aus dem er besteht, ist mehrere Meter dick und zusätzlich bewehrt, also mit Eisen verstärkt. Das macht den Rückbau solcher Bauten zu einem extrem langwierigen und schwierigen Vorhaben – das darum in den meisten Fällen gar nicht erst angegangen wurde. „In Hamburg gab es über tausend Bunker, von denen die meisten noch unter der Erde liegen, weil es so aufwändig ist, sie zu beseitigen“, sagt Wulf. Mindestens ein halbes Jahr sei man mit dem Abbruch eines Röhrenbunkers beschäftigt.
Während die Hamburger Hochbunker heute meist von Gewerben oder Kulturschaffenden – seltener als Wohnraum – genutzt werden, sind die meisten unterirdischen Schutzräume aus dem Zweiten Weltkrieg verschüttet oder stehen unter Wasser. Generell ist es um die Bunker in Deutschland nicht gut bestellt. In den Sechzigerjahren wurden als Reaktion auf die atomare Bedrohung während des Kalten Kriegs einige neue private und öffentliche Bunker angelegt. Als sich die politische Lage entspannte, endete diese zweite Bauwelle. Im Rahmen der Friedensdividende im Jahr 2007 wurde der Großteil der Schutzräume stillgelegt, zurückgebaut oder für andere Nutzungen freigegeben. Bautechnische Vorgaben für den Schutzraumbau gibt es seitdem nicht mehr.
Hat Deutschland genug Schutzräume für den Ernstfall?
Heute unterliegen laut der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA) deutschlandweit nur noch 579 sogenannte öffentliche Schutzräume (öSR) der Zivilschutzbindung. Keiner von ihnen wäre im Ernstfall sofort einsatzbereit. Ein Umstand, der mit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine im Jahr 2022 zur Regierungssache wurde. Das Bundesministerium des Inneren und für Heimat (BMI) beauftragte das BImA und das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit einer Bestandsaufnahme der vorhandenen öSR. Ihren Bericht legten sie im Mai 2023 vor.
„Kernaussage des Berichts der BImA ist, dass eine Reaktivierung der noch gewidmeten öSR grundsätzlich möglich ist“, sagt Thorsten Grützner vom BImA. „Zeit- und Kostenaufwand der Reaktivierung hängen von dem Schutzniveau ab, das die Schutzräume bieten sollen. Darüber hinaus hat die BImA weitere Maßnahmen vorgeschlagen, die auf eine Erhöhung der Schutzkapazitäten abzielen.“
Links: Oben:
Koffer in den Ablagen für Luftschutzgepäck. „Die Menschen haben mitgebracht, was sie tragen konnten“, sagt Wulf. Haustiere waren aber sowohl in den Kellern als auch in Bunkern verboten, weil man vermeiden wollte, dass die Angst der Tiere auf die Menschen in den Schutzräumen überspringt.
Rechts: Unten:
Packliste für das Schutzraumgepäck.
bilder von Katarina Fischer
Selbst wenn alle 579 Schutzräume einsatzbereit wären, böten sie nicht annähernd allen Bundesbürgern Schutz. Doch wie während des Bombenkriegs im Zweiten Weltkrieg sind Bunker nur eine von mehreren Optionen, die Bürger nutzen sollen, um sich im Angriffsfall in Sicherheit zu bringen. „Die Bundesrepublik verfügt heute flächendeckend über eine gute Bausubstanz, die unter bestimmten Voraussetzungen bereits einen signifikanten Schutz vor dem Einsatz von Kriegswaffen bieten kann“, so Grützner. Gemeint sind U-Bahn-Stationen, Tiefgaragen sowie Kellerräume in Massivbauweise, die sich vollständig unterhalb der Erdoberfläche befinden.
Diese böten bereits einen guten Grundschutz vor einer Explosionsdruckwelle, Trümmer- und Splitterflug sowie vor herabfallenden Trümmern und erreichen somit das geringste von vier Schutzniveaus, die der Bericht aufführt. Auf der höchsten Stufe stehen öSR mit CBRN-Schutz: In ihnen ist man vor chemischer, biologischer, radiologischer und nuklearer Gefahr sicher.
Lernen aus der Vergangenheit
Angriffe mit CBRN-Waffen würden eine längere Verweildauer im Bunker notwendig machen, als sie in den Luftschutzbunkern des Zweiten Weltkriegs vorgesehen war. „Der längste Aufenthalt war je nach Lage des Bunkers um die 13 bis 14 Stunden“, sagt Wulf. „Manchmal auch länger. Die Leute waren hier aber nicht tagelang drin. Irgendwann mussten sie raus, weil der Sauerstoff knapp wurde.“
Nach dem Hamburger Feuersturm im Sommer 1943: Blick auf den Wichernweg (Häuserzeile im Hintergrund) und die Wichernkapelle (davor, Mitte), in deren Garten sich der unterirdische Bunker befindet.
Foto von Hamburger Bunkermuseum
Die meisten dieser Menschen, die aus erster Hand berichten konnten, wie sich die Bombennächte im Bunker angefühlt haben, sind inzwischen gestorben. Darum sind Orte wie das Bunkermuseum, in dem Wulf regelmäßig Schulklassen empfängt, so wichtig. „Wir wollen mit diesem Bauwerk zeigen, was es heißt, Krieg erleben zu müssen“, sagt er. „Gerade auch der jüngeren Generation wollen wir die Nöte und Ängste der damaligen Menschen verdeutlichen – und so unseren kleinen Beitrag zur Friedensarbeit leisten.“
Wie wird heute mit Katastrophen umgegangen? Antworten darauf gibt es im Rahmen des Disaster Day am 14.10.2023 ab 6:00 Uhr bei National Geogrpahic zu sehen. National Geographic und National Geographic WILD empfangt ihr über unseren PartnerVodafone im GigaTV Paket.